Wenn nichts wartet und niemand erwartet

Die Zeit in Kanada ist für mich ein Aushalten, nicht zu wissen, was kommen wird. Abwarten, was der Tag so bringt und einfach nicht zu müssen. Aufstehen wann ich will und nicht, weil ich muss. Es ist ein Ausbrechen aus dem Gewohnten. Ein Entfliehen aus dem Wissen, wohin der nächste Schritt führen wird. Sich nicht mehr im Leistungsrad unserer Gesellschaft mitdrehen zu müssen. Aus dem Hamsterrad herauszutreten und zu merken, dass da noch mehr zu leben ist. Aufhören zu rennen und endlich wieder zu Atem zu kommen. Das Gewicht von Erwartungen (gemacht von uns selbst mit grosszügiger Unterstützung unserer Gesellschaft) abzuschütteln und links liegen zu lassen. Ein tägliches Aufwachen mit Möglichkeiten, die der Tag so mit sich bringt. Das ist mein Alltag. 

 

Auf einmal ist da etwas, von dem man früher nie genug hatte: Zeit. So viel, dass ich manchmal schon ein bisschen Bammel hatte, zu viel davon zu haben. Was natürlich absolut lächerlich ist, meine Tage haben immer noch 24 Stunden. Allerdings machen meine Pflichten Platz für freie Zeit und mich damit plötzlich ohne Zeitschulden – nirgends wo ich sein muss und niemand der erwartet. So muss ich nicht mehr für Arbeit aufstehen, die auch später erledigt werden kann. Und ich muss überhaupt nicht arbeiten, wenn gerade etwas anderes wichtiger ist (oder auch nicht wichtiger ist). Ein leichtes und befreiendes Gefühl ist das.

  

Mit dem Nicht-mehr-zu-müssen fällt die Routine weg. Etwas, das Stabilität, Halt und vielleicht auch einen Sinn gibt. Es kommt mir vor, wie das erste Mal ohne Stützräder Fahrrad zu fahren. Ich muss meine Balance wiederfinden. Diese lerne ich in meinen unzähligen Ideen, wie ich meine Tage gestalten will: Ich möchte Altes schätzen und Neues lernen, mich fördern und herausfordern, Abenteuer sowohl suchen als auch riskieren, sie zu finden.

 

Allerdings fehlte mir nach einer Weile doch etwas – meine Arbeit. Nicht die Routine eines Arbeitsalltages, sondern viel mehr meine Arbeit selbst. Und so fing ich wieder an, zu arbeiten. Als Erholung von meiner Vollzeitbeschäftigung, meinen Traum zu leben. Damit ich meiner zeitlichen Unabhängigkeit treu bleiben konnte, machte ich mich beruflich selbständig. Nun arbeitete ich dann und wann ich will, wie und soviel ich möchte. 

  

Somit wurde meine Auszeit nicht nur ein Jahr des Nicht-zu-müssen, sondern auch ein Loslassen. Loslassen der Sicherheit, die mich all zu oft an Ort und Stelle nagelte. Aufs Ungewisse zutreibend bin ich nun offen für all die Möglichkeiten, die sich blicken lassen.

Fabia Meyer · hello@fabia.me