Auf die Spur kommen

«Die einzigen Gründe, warum ich nicht zurück kommen sollte, sind Folgende: Entweder ich finde Gold, einen Schatz oder einen Goldschatz», scherzte ich mit meinem Chef in der Schweiz. Er hatte bereits vor meiner Abreise Bedenken, dass ich nach meiner Auszeit nicht wie geplant in die Schweiz zurückkommen werde. Er sorgte sich nicht, dass mich – wie hundert Jahre zuvor die Goldgräber – im Yukon der Goldrausch packen würde. Er dachte viel eher, dass ich mich von diesem Ort anstecken lassen würde und dort ein neues Zuhause fände. Ich selber glaubte zu diesem Zeitpunkt nicht daran. Dafür gefiel es mir in der Schweiz zu gut und ich selbst war zu sehr mit meiner Heimat verwurzelt. Damals war ich mir sicher, nach meiner Zeit in Kanada wieder zurück in die Schweiz zu kommen und wieder anzufangen «vernünftig» beziehungsweise «zünftig» zu arbeiten (wie es von unserer Gesellschaft erwartet wird). Dass man an zwei Orten gleichzeitig Wurzeln schlagen kann, stellte ich erst viel später fest.

 

Ich liebe die Natur im Yukon, die Rauheit des Nordens, die vielen sportlichen Aktivitäten, die langen Sommertage voller Leben sowie die gedrosselten kurzen Wintertage. Und nicht zuletzt auch die unternehmensfreudigen, liebenswürdigen Yukoner. Das alles war für mich lange nicht Grund genug überhaupt in Betracht zu ziehen, im Yukon zu bleiben. «Nothing can beat the Yukon», sagte mir einst jemand. Ich lachte und sagte, er sei noch nie in Graubünden (Schweiz) gewesen. Schöne Orte findet man überall auf der Welt. Jedoch dort leben zu können, ein Zuhause aufzubauen, ist eine ganz andere Geschichte.

 

Im November ging ich für einen Überraschungsbesuch – ich wurde Tante – für drei Wochen in die Schweiz. Aus meinem eingependelten Rhythmus kommend, fand ich mich plötzlich in der pulsierenden Schweiz wieder, zurückkatapultiert in die Geschwindigkeit meines Lebens vor meiner Abreise nach Kanada. Ich staunte, wie schnell ich wieder in meine alten Muster zurückfallen konnte und dabei meine neue innere Ruhe ihr Gleichgewicht zu verlieren drohte. Nach meinem Besuch in der Schweiz kehrte ich nach Kanada zurück mit einem Herzen voll wunderschöner Wiedersehen mit Familien, Freunden und meiner alten Liebe. Allerdings auch mit Schwindel im Kopf und vielen Fragen zu mir selbst. Zurück im bereits kalten Whitehorse konnte ich meinen Kopf abkühlen und machte mich auf die Reise einer Suche. Zu einem Ort, der zwar nah und doch oftmals unsichtbar fern ist. Meine Destination war das Herausfinden, was mich glücklich macht und was ich von meinem Leben erwarte. 

  

Meine Suche nach mir fand ihr Ziel in Whitehorse. Dort ist meine Freiheit zu Hause, welche ich unbewusst in der Schweiz vermisste. Die Freiheit, meinen eigenen Weg gehen zu können ohne von der Norm in eine Richtung gedrängt zu werden. Die Freiheit zu haben, verrückt zu sein. Eine Freiheit, welche ich in der Schweiz nur mit viel Anstrengung gegen den Strom zu schwimmen gefunden habe. Im Yukon hingegen ist dies leicht, weil an diesem Ort jeder ein bisschen verrückt ist. Dort macht das Anders-zu-sein dazugehörig. Begeistert vom Lebensstil der Yukoner entschloss ich mich, meinem Leben in Kanada eine zweite Chance zu geben. Zwar nicht dort zu bleiben, jedoch irgendwann für einen neuen Lebensabschnitt zurück zu kommen.   

 

Im Yukon habe ich nicht meinen Goldschatz, jedoch wider Erwarten Gold und einen Schatz gefunden: Ich habe mit meiner kostbaren Zeit tief grabend mich selbst gefunden. Und dabei auch die Gewissheit, dass mein Goldschatz irgendwo in der Welt bewahrt wartet, von mir gefunden zu werden. Diese Suche hat allerdings noch Zeit – meine Eile habe ich bei meinem Besuch in der Schweiz vergessen.

Fabia Meyer · hello@fabia.me