Alle zittern, wenn er kommt – der Winter

Mit Fragen wie «Bist du für den Winter bereit?» wurde ich bereits im Oktober langsam auf die Idee gebracht, dass man sich im Yukon vermutlich für die kommende Kälte aufrüsten sollte. Die bereits im Sommer getragene Skijacke aus der Schweiz wird wohl für den Winter hier nicht reichen, dachte ich mir. Und so mobilisierte ich mich. Als Erstes natürlich sehr wichtig, kaufte ich mir ein Bike, welches mich auch im Winter aus dem Haus bringt. Ich entschied mich gegen den Trend eines Fatbikes und für ein simples Mountainbike mit Spikes Reifen. Als Nächstes kam mein Auto an die Reihe. Seine Unverlässlichkeit im Sommer schürte nicht gerade mein Vertrauen in seine Beständigkeit im Winter. Einen Reifen- und Ölwechsel gönnte ich meinem Auto grosszügig und legte dafür, zusammen mit meiner Mitbewohnerin, selber Hand an. Im Gegensatz zu jedem andern Yukon Auto ist mein Kia Rio leider weder mit einer Öltank- noch mit einer Motorblockheizung gesegnet. Als Exot bammelt bei ihm somit kein Stecker unter der Motorhaube hervor. Dieser bringt bei richtig kalten Temperaturen jedes Auto in Fahrt. Ich entschied mich lieber für das Risiko, irgendwo zu stranden, als das Geld für diese Investition in Kauf zu nehmen. Auch sein Tacho, welcher seit Monaten überhaupt nicht mehr funktionierte, fand nicht mein Erbarmen für eine Reparatur. Die Autotüren brachten mich bereits bei den ersten kalten Temperaturen ins Schwitzen. Die gingen zwar auf, aber nicht mehr zu. Nach ein paar halsbrecherischen Fahrten – mit einer Hand am Steuer und der andern die Fahrertür zuhaltend – brachte WD-40 die Lösung und ich beide Hände wieder zurück ans Steuer. Danach war meine Garderobe an der Reihe. Das Wichtigste legte ich mir in Kanada zu, inklusive ein paar Fehlkäufe. Nicht jedes Versprechen der Hersteller, die ausserordentlich kalten Temperaturen auszuhalten, zahlte sich aus.

 

Und sie kamen. Vorbereitet und erwartet stellte ich mich den – 40 Graden, vor welchen ich ehrlich gesagt schon ein wenig gezittert habe. Zehn Tage lang war es kälter als – 30 Grad, in der Nacht beinahe – 50 Grad. Die Folge waren Fensterscheiben, die von innen gefrieren; Eisrauch, der einem entgegenschlägt, wenn man die Türe öffnet; Plastik, der zerbricht, wenn man ihn nur berührt; Finger die man verbrennt, wenn man unüberlegt ohne Handschuhe Metall anfasst sowie Haare und Wimpern, welche in der frischen Luft zu weissen Kunstwerken werden. Dankbar eingepackt wie eine Astronautin bringt mich jeder Schritt ausser Atem.

 

Und mancher fragt sich jetzt vielleicht, wie gut meine Wintervorbereitungen sich ausgezahlt haben. Im Grossen und Ganzen ganz gut. Mein Auto hat sich bis -37 Grad ohne Öltank- und Motorblockheizung zur Fahrt motivieren lassen (eine erstaunliche Leistung). Für die Autowinterreifen mit Spikes (hier hat niemand Ketten) war ich nicht nur einmal dankbar. Es hiess, einen Abstecher mit dem Auto in den Graben gehöre hier zum Yukon-Erlebnis. Ungewollt folgte ich dieser Empfehlung – kein schlimmer Unfall, nur eine Lektion, immer sowohl eine Schaufel, warme Kleider und eine Decke im Auto zu haben.

 

Im Gegensatz zu meinem Auto liess mein wintertaugliches Bike sich auch nicht vom Glatteis bremsen. Seine Zähne in jedes Eis beissend brachte es mich stets sicher ans Ziel. Manchmal dauerte es jedoch fast länger, mich für die dreissigminütige Fahrt in die Stadt bereit zu machen, als die Fahrt selbst. Erst bei – 40 Grad streikte auch auch mein Bike und liess sich lieber von mir bequem – eine Stunde lang – bergaufwärts nach Hause schieben.

 

Ich war mit meinen unzähligen Schichten gut gerüstet für die Kälte. Im Gegensatz zu meinem Auto und Bike verliess mich auch bei -40 Grad nicht die Motivation, draussen zu sein. Die angenehme trockene Kälte ist nicht zu vergleichen mit der feuchten Kälte in der Schweiz. Alles braucht auf einmal mehr Zeit, das Einpacken und Auspacken sowie das von A nach B kommen. Eine fünfminütige Besorgung mit dem Auto wird zu einer halben Stunde weil – Umweltfreunde bitte diesen Teil überlesen – bei diesen Temperaturen das Auto warmgelaufen werden muss und während den Besorgung nicht ausgeschalten wird. Das Risiko, es nicht mehr anzubekommen ist zu gross.

 

Trotz dem zusätzlichen Aufwand, ist es wert, auch bei eiskalten Temperaturen aus dem Haus zu gehen. Denn was man sieht, ist atemberaubend schön. Die intensiven Faben des Winterlichts. Regenbogen, die sich durch die Eiskristalle und das Sonnenlicht in der Luft rund um die Sonne bilden. Die verschneite Landschaft mit ihren Bäumen, welche wie ein Eisskulpturenpark wirken. Die Helligkeit der Nacht, nicht nur wegen der Nordlichter, sondern auch der Vollmond, welcher die Dämmerung und die Nacht in eine aussergewöhnliche Stimmung taucht, die mir jedes Mal den Atem verschlug. Dachte ich der Sommer im Yukon ist atemberaubend schön, so bin ich geblendet von der Schönheit des Winters und einfach nur sprachlos. Und glücklich, das erlebt zu haben. 

Fabia Meyer · hello@fabia.me